30.10.2024

Regisseur und Autor Calle Fuhr im CREDION-Interview

Credion Portrait

Du bist als Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur extrem produktiv. Was motiviert Dich jeden Tag?
Neugier! Die Neugierde auf das, was heute entstehen wird. Egal, ob ich am Schreibtisch sitze und ein Stück schreibe, ob ich ein Thema recherchiere oder auf einer Probe und mit fertigem Text sitze, um auf der Bühne etwas entstehen zu lassen. Die Neugierde auf, das, was entstehen wird, motiviert mich total.

Was hat Dich ganz ursprünglich für das Theater begeistert?
Da fallen mir mehrere Momente ein: Als Zuschauer in Theaterstücken oder im Musiktheater sitzend und staunen, was auf der Bühne und in mir geschieht. Das war für mich etwas Beeindruckendes und hat meine Neugierde geweckt. Was ist das für eine Welt? Als ich das erste Mal selbst Theater gemacht habe, habe ich gemerkt, dass es egal ist, wer Du bist und woher Du kommst. Es zählen Moment und Präsenz. Dann hat jeder seinen Wert und seine Berechtigung auf der Bühne. Etwas Erzählenswertes ist immer wieder aufs Neue inspirierend. Zum Beispiel bei Proben mit einem Ensemble oder auch schon als Regieassistent. Als ich neben einem Regisseur saß, der es über drei, vier Worte schaffte, auf der Bühne eine neue Welt entstehen zu lassen.  Was für eine wunderbare Arbeit…

Gutes Stichwort: Was ist für Dich Arbeit?
Ein komplett positiv besetzter Begriff. All das, was mich umgibt, kann ich in die Arbeit integrieren. Das ist ein großes Glück. Ich kann jeden Tag dazulernen. Ob ich einen Roman lese und daraus Stil-Elemente verwende, eine Doku schaue oder Nachrichten ansehe oder etwas recherchiere. Da stecken überall Bausteine für meine Stoffsammlungen drin. Und da meine Stoffe immer aktuell sind, können so Ideen entstehen. Vielleicht entsteht daraus sogar ein Stück.

Wie genau entstehen Deine Ideen zu neuen Stücken?
Oft im Dialog. Zum Beispiel mit Journalisten, mit denen ich zusammenarbeite.  Mich interessiert zum Beispiel, an welchen Themen das spendenfinanzierte Rechercheteam von „Correctiv“ in Deutschland arbeitet oder „Dossier“ in Österreich. Es sind persönliche Fragen an die Welt, denen ich nachgehe und die meine Neugier wecken. Das ist für mich das Reizvolle am Recherchetheater. Zum Beispiel: Wie konnte das System Benko über einen so langen Zeitraum funktionieren? Oder: Nach welchen Regeln arbeitet die Fiskalpolitik? Oder: Wie kommen wir als Gesellschaft wieder zusammen?

Arbeitest Du mit einer These, die Du durch eine Recherche dann belegst?
Nein, meine Recherchen sind immer ergebnisoffen. Was mich antreibt, ist immer Neugier. Punkte, die mich brennend interessieren, möchte ich umfassend verstehen. Ich komme also von der Breite und fokussiere mich immer stärker, um das letzte Detail auszuleuchten. Ich möchte die Komplexität jedes Themas zu genießen und nicht einfach einer These blind hinterherrennen.

Wenn die Recherche gelungen ist und Du ein Stück schreibst: Wann ist es für Dich ein gelungenes Stück?
Ich würde von einem gelungenen Abend sprechen. In der Formulierung steckt etwas wahnsinnig Konkretes: Menschen kaufen sich ein Ticket und wollen einen schönen Abend. Worin die Schönheit liegt, kann sehr unterschiedlich sein. Sich kaputtlachen über witzige Anekdoten, ein köstliches Essen, ein Glas hervorragenden Weines. Es kann auch bedeuten, Tiefe zu empfinden, Trauer oder etwas Philosophisches. Das würde ich auch auf das Theater beziehen. Ein Stück sollte mich in jedem Sinne bewegen – emotional und intellektuell. Wenn das passiert, ist für mich ein Abend gelungen.

Welche Frage macht Dich aktuell neugierig?
Die Frage, wie „Meinung“ entsteht. Wir haben ein natürliches Selbstbild, das ein wenig trügerisch ist:  „Ich folge den Fakten, mache mir ein ausgewogenes Bild und urteile auf dieser Basis vorurteilsfrei!“ Das stimmt so natürlich nicht. Aber wie funktioniert es wirklich? Was beeinflusst uns? Warum war vor fünf Jahren Klima das Nummer-1-Problem, und warum ist es in der Wahrnehmung heute so weit hinten? Und warum sollte es nicht wieder nach oben gelangen? Wie haben es die anderen Themen wie etwa Migration oder Kriminalität so weit nach vorn geschafft? Wie ist diese Einschätzung und Wahrnehmung entstanden? Ich möchte etwas dazu beitragen, demokratische, friedliche, humanistische Werte zu stärken. Und wie man diese transportieren kann, das beschäftigt mich aktuell besonders!

Ganz herzlichen Dank für unser Gespräch!

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